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Auf dem Weg zum Krankenhaus 5.0

von Ingo Nöhr

Wir danken dem Verlag MEDI-LEARN.net GbR für die freundliche Erlaubnis, Cartoons von Rippenspreizer verwenden zu dürfen. Mehr Cartoons sind unter http://www.medi-learn.de/cartoons/ zu finden.
Vielen Dank MEDI-LEARN.de

Der Monat Mai hatte für unsere pensionierten Krankenhausexperten Ingo und Jupp wieder mal eine Fülle von aufregenden Ereignissen zu bieten: die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen, der spannende Regierungswechsel in Frankreich, die Bombenattacke auf den BVB-Bus, der terroristische Anschlag in Manchester, die ereignisreiche Auslands-Tournee von Donald Trump, mit der er Abstand zu den FBI-Ermittlungen zur Russland-Connection gewinnen wollte, nachdem er den FBI-Direktor kurzerhand gefeuert hatte, … kurzum – genügend Stoff für mehrere Sitzungen in ihrem beliebten Stammlokal an der Ecke.
Aber ein Ereignis ragte trotzdem heraus und stellte alle bisherigen Themen in den Schatten.

Hallo, Jupp. Du siehst noch etwas übernächtigt aus. Du hast wohl Christi Himmelfahrt zu viel Vatertag gefeiert, oder?

  • Mensch Ingo, hör bloß auf. In unserem Krankenhaus war an dem Tag die Hölle los. Dreimal so viel Unfälle wie sonst, alle durch Alkohol am Steuer. Dazu haufenweise Schlägereien. Und das alles noch mitten im Krisenmanagement um den WannaCry-Virus, der einen Haufen Windows-Rechner lahmgelegt hat. Aber jetzt kriegen sie die IT-Probleme langsam wieder in den Griff und alle können endlich aufatmen.

Vorsicht Jupp, mit dem Aufatmen, meine ich. Hast du garnichts von WannaCrys bösen kleinen Bruder gehört? Adylkuzz ist eine Malware, welche wie WannaCry seit Ende April weltweit genau dasselbe NSA-Einfallstor auf unsicheren Windowsrechnern benutzt. Das kleine Stück Software installiert unbemerkt eine Routine, die im Verborgenen Rechenleistung abzwackt, um eine wenig bekannte Darknet-Kryptowährung namens Monero zu erzeugen, ähnlich wie das bei Bitcoin geschieht. Dabei wird niemand über verschlüsselte Daten erpresst, nur die Windowsrechner werden langsamer. Deswegen merkt man es kaum, wenn der PC befallen wurde. Mittlerweile sollen schon über 1 Million Dollar im virtuellen Geldbeutel der Malware-Versender gelandet sein, während WannaCry gerade mal 110.000 Dollar bei etwa 320 Opfern lockergemacht hat.

  • Die waren ja auch billig. Bei der deutschen Bahn gab es auf den Anzeigetafeln nur noch den Erpressertext und die Geldforderung von 300 US-Dollar zu lesen, allein dort waren 450 Rechner betroffen. Hast du gehört, was in UK in den Krankenhäusern des National Health Service los war? Dabei verkündete zu diesem Zeitpunkt der Antivirenhersteller Sophos großspurig überall seinen Werbeslogan „The NHS is totally protected with Sophos“. Sehr peinlich.

Jupp, glaube nur nicht, dass die Gefahr schon vorbei ist. Es gibt ein riesiges Botnetz namens Mirai, welches schon große Internetdienste wie Twitter, Amazon und Netflix lahmgelegt hat, indem es Millionen von Internet-of-Things Geräten, wie zum Beispiel Überwachungskameras oder Kühlschränke, für Angriffe nutzt. Zurzeit bombadiert Mirai mit 20 Gigabyte pro Sekunde den WannaCry-Kill-Switch, diesen Notschalter, den IT-Sicherheitsleute einen Tag nach dem Angriff zufällig entdeckt hatten. Zudem gibt es schon eine Menge Varianten und Nachfolger. Die nächsten Bedrohungen sind schon auf dem Weg und bereits schon eingedrungen.

  • Das sind doch nur die verdammten Software-Backdoors der Geheimdienste und Sicherheitsbehörden in Schuld, die sie eingerichtet oder laufend gesammelt haben, um uns ihre Staatstrojaner unterzujubeln. Dabei haben sie selber ihren Laden nicht im Griff, wie man das am NSA-Hack der Shadow Brokers sehen konnte. Jetzt spazieren weltweit die kriminellen Hacker in unseren Rechnern herum und scheffeln Geld wie Heu. Warum kann man denn diese Behörden nicht auf Schadenersatz verklagen?

Nun ja, Jupp. Vergiss nicht, dass die Hackergroup dann ihre von der NSA geklauten Viren im Internet höchstbietend versteigern wollten, nicht gerade die feine Art. Dann muss man ehrenhalber auch zugeben, dass Microsoft frühzeitig entsprechende Patches angeboten hat, welche diese Löcher schließen konnte. Wenn aber die PC-Benutzer keine Software-Updates vornehmen, sind sicherlich mehrere Beteiligte anzuklagen. Aber in einem hast du recht: unsere Computersicherheit ist löcherig wie ein Schweizer Käse. Das ist eine unendliche Geschichte, zumal die neuen Programme viel zu schnell auf den Markt gebracht werden, ohne vorher ausreichend getestet zu sein. Und zu viele Nutzer besitzen überhaupt kein Risikobewusstsein, was ihre Datensicherheit angeht.

  • Also Ingo, verstehe ich das richtig: wir haben ein weltweites Hackernetzwerk, welches dank unserer undichten Sicherheitsbehörden immer mehr Löcher in unseren Rechnern findet, die wir nur mit ständig steigendem Kosten-, Zeit- und Ressourcenaufwand schließen können, aber dabei ständig der Entwicklung hinterherhecheln. Der klassische Einbruch, Bankraub und das Erpresserhandwerk zählt mittlerweile zur Steinzeit-Kriminalität. Heutzutage kann man irgendwo auf Welt sitzend mit einem Laptop Millionen mit anonymen Bitcoins verdienen, ohne dass diese Hacker irgendein Entdeckungsrisiko fürchten müssen. Anscheinend arbeiten sie auch schon im Auftrag irgendwelcher Regierungen.

Jetzt bieten ihnen schon die Netzwerkdrucker leichte Eintrittstore in die hauseigenen Rechnernetze. Und es wird noch schlimmer, Jupp. Es gibt mittlerweile eine kriminelle Methode, gegen die alle Firewalls und Antivirenprogramme nichts ausrichten können: den Datenverkauf. Im Darknet existiert ein Nachfragemarkt nach Patientendaten, der lukrative Summen für deren Herausgabe bereitstellt. Ein frustrierter Klinikmitarbeiter mit KIS-Zugang könnte die gesammelten Patientendaten seines Hauses kopieren und im Darknet für einige Tausend Dollar verkaufen. Das Geschäftsmodell haben wir Deutschen selbst in den letzten Jahren entwickelt: unsere Finanzämter zahlen schließlich untreuen Bankmitarbeitern Millionenbeträge für CDs mit gestohlenen Kundendaten, um die Steuerbetrüger zu erfassen.

  • Wenn ich das so höre, dann ist ja unser Modell des Krankenhauses 4.0 ein Irrweg. Immer mehr Vernetzung, Digitalisierung und Computerabhängigkeit führt in unserem Gesundheitssystem zunehmend zu einem unbeherrschbaren Risiko. Dann hat Marc Elsberg mit seiner düsteren Blackout-Vision vielleicht doch recht: wir richten uns selbst zugrunde.

Jetzt schlägt aber dein Pessimismus gnadenlos zu: du rechnest schon wieder mit dem Weltuntergang. Mensch Jupp, wir reagieren doch auf diese Warnschüsse. Der amerikanische Autor Cormac McCarthy hat mal gesagt: „Man weiß nie, vor welchem größeren Unglück einen das Pech bewahrt hat.“ Dieser Hack hat unsere Sinne geschärft und uns damit einen ordentlichen Tritt in den Hintern verpasst, die Virenbedrohung ernst zu nehmen und endlich mal mehr in die Datensicherheit zu investieren.

  • Darf ich dir sagen, was so ein Tritt bewirken wird? Nachdem vor vier Jahren Angela Merkel für alle überraschend erkannt hat: „Das Internet ist für uns alle Neuland“, hat sie gerade vor ein paar Tagen in Berlin das Deutsche Internet-Institut gegründet. Mit einem atemberaubenden Budget von 50 Millionen Euro für fünf Jahre soll das Institut „den digitalen Wandel erforschen, um die Digitalisierung besser zu verstehen“.

Ja, das ist doch super, Jupp, oder? Das zeigt doch exemplarisch, dass unsere Regierung jetzt im Internetzeitalter angekommen ist. Das war ja wirklich ein weiter Weg bis zu dieser Erkenntnis.

  • Also mein lieber Ingo, um „die Interaktion zwischen Mensch und Technologie“ zu analysieren, biete ich eine schnellere und kostengünstige Lösung an. Sie müssen nur meine vierzehnjährige Nichte einstellen, die mit ihrem Smartphone schon längst zu einem Cyborg zusammengewachsen ist. Sie hat sich über diese Meldung totgelacht. Mein Gott, wann werden sich denn endlich mal unsere weltfremden Politiker 1.0 in Richtung 4.0 bewegen?

4.0? Die Realität geht doch schon einen Schritt weiter. Die britischen Kliniken haben es gerade praktisch demonstriert. Das Krankenhaus 5.0: alle Daten handschriftlich auf Zetteln, Übermittlung durch Boten, Informationsaustausch durch persönliche Treffen, Reduktion der Arbeit auf wirklich notwendige OPs. Kommt dir dieses Szenario nicht irgendwie bekannt vor? Das haben wir eigentlich schon bei der Jahrtausendwende erwartet, der berüchtigte „Y2K-Zusammenbruch“.

  • Ingo, wie der Name schon sagt: Notepad ist das englische Wort für Notizblock, Merkzettel. Was wäre, wenn wir alle unsere digitalen Hilfsmittel wieder durch die altbewährten analogen Werkzeuge ersetzen würden? Die Alarmserver durch Trillerpfeifen, die Transportroboter durch junge Boten mit Rollschuhen, die Fernseher durch Kleintheatergruppen, die Videospiele durch Mensch-ärgere-dich-nicht oder Schach. Bei Notfällen wird das Ambulanzteam durch Topfdeckelschlagen zusammengerufen - die Demonstranten in Venezuela haben mit dieser Methode beeindruckende Ergebnisse erzielt.

Klar, ein interessanter Gedanke. Zur Diagnose müssten unsere Ärzte wieder lernen, ein Hörrohr zu benutzen, Pulswellen zu erfühlen, Brustkörbe abzuklopfen, Urin zu riechen, Blut unter dem Mikroskop anzuschauen. Und vor allem sich geduldig die gesamte Leidensgeschichte des Patienten anhören. Ich glaube, unsere Gesellschaft würde dadurch nicht kränker. Und unsere Krankenhäuser erhielten wieder ein menschlicheres Antlitz.

  • Da magst du vielleicht recht haben, Ingo. Aber mit multiplen Knochenfrakturen nach einem Verkehrsunfall, einer Krebserkrankung oder einer multiresistenten Infektion würde ich mich in unserem derzeitigen Krankenhaus bedeutend wohler fühlen. Du nicht auch?

Ja, wahrscheinlich. Nachdem dort schon die Künstliche Intelligenz in Form von Dr. Watson Einzug gehalten hat. Übrigens, der IBM-Arzt bekommt demnächst Konkurrenz. AlphaGo von der Google-Tochter Deep Mind hat gerade das asiatische Brettspiel Go gelernt. Erst hat er gegen fünf chinesische Top-Profis gespielt – alle gewonnen. Dann forderte er den amtierenden Weltmeister heraus. Nach drei Siegen hat er jetzt keinen Gegner mehr auf der Welt. Wie langweilig.  
Seht mich an, ein Gehirn von der Größe eines Planeten, und man verlangt von mir, euch in die Kommandozentrale zu bringen. Nennt man das vielleicht berufliche Erfüllung? Ich jedenfalls tu's nicht.“ sagte schon der depressive Roboter Marvin im Hitchhiker‘s Guide von Douglas Adams. Deep Mind will AlphaGo jetzt in der Medizin einsetzen. Vielleicht kann er ja mal etwas gegen die Hackerbrut unternehmen.

  • Ja, aber nur, wenn die nicht einen nordkoreanischen KI-Killer auf ihn ansetzt.
    Da fällt mir ein: ich brauche gerade einen analogen Durstkiller.
    Herr Wirt, für uns zwei Bier Version 1.0 bitte!

Gute Idee Jupp. Wir sollten dieses herrliche Getränk noch genießen, bevor uns ein Silikon-Intelligenzler durch seine Besserwisserei die Braukunst kaputtmacht.

Die Organisationen stecken Millionen von Dollars in Firewalls und Sicherheitssysteme und verschwenden ihr Geld, da keine dieser Maßnahmen das schwächste Glied der Sicherheitskette berücksichtigt: Die Anwender und Systemadministratoren. 

Kevin Mitnick – Berühmter Hacker

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