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Der Absturz

von Ingo Nöhr

Ingo Nöhr zum 1. November 2020

Eine redaktionelle Anmerkung zum Anfang: dies ist die einhundertste Episode der monatlichen Gespräche zwischen Ingo Nöhr und seinem Kumpel Jupp. Seit über acht Jahren, genaugenommen seit dem August 2012 protokolliere ich die Ideen, Beobachtungen, Streitereien und Interpretationen der beiden Rentner. Seitdem hat sich eine kleine Fangemeinde eingefunden, die wohl angesichts der Zugriffsdaten noch nicht die Lust an den manchmal skurrilen, oft philosophischen und nicht immer politisch korrekten, aber in der Regel tagesaktuellen Betrachtungen verloren hat. 

Es stehen einschneidende Veränderungen an, sowohl in Deutschland, Europa, in den USA, aber auch auf dem gesamten Globus, die anscheinend nichts Gutes verheißen. Wie soll es nun weitergehen? Möchten Sie weiterhin den Disput zwischen dem Optimisten Ingo und seinem pessimistischen Freund Jupp im Blog verfolgen?

Dann habe ich eine Bitte: Nutzen Sie die Kommentarzeile am Ende des Blogs, um mir kurz Ihre Antwort mitzuteilen. Ein „Ja, weiter so“ oder „Nein, es reicht“ würden mir schon genügen. Natürlich bin ich auch für Kritiken aller Art und Verbesserungsvorschläge dankbar.

Nicht zuletzt möchte ich mich bei meinem Webadmin bedanken, der es trotz Feiertage, Urlaub oder anderer Widrigkeiten immer wieder geschafft hat, jede aktuelle Folge pünktlich zum 1. des Monats ins Netz zu stellen, obwohl ich ihm das Manuskript oft nur wenige Stunden vor Ablauf des Monatsletzten übermittelt habe. Und natürlich bin ich Medi-Learn.de dankbar, dass ich die Rippenspreizer-Cartoons nutzen durfte.

Bleibt gesund. Ich melde mich bei genügendem Interesse (!) am 1. Januar 2021 wieder.

Euer Chronist.

 

Der Absturz

Da sitzen die beiden Krankenhaus-Strategen Ingo und Jupp wieder einmal in ihren Kämmerchen und trauen sich nicht mehr außer Haus. Vor allem Jupp schäumt vor Wut. Ihm fehlt das monatliche Treffen in seiner Stammkneipe. Besonders betroffen macht ihn die Mitteilung des Wirtes, dass er die Gaststätte wohl endgültig schließen muss. Es stehen wieder harte Zeiten bevor – oder immer noch?

Also Ingo, ich finde, es reicht endgültig! Unser Wirt macht zu. Dabei hat er soviel in den Coronaschutz investiert: Desinfektionsmittel, Tischabstände, Heizpilze, Masken plus Gesichtsschilde, Handschuhe, Plexiglaswände … er hat sich sogar vom TÜV zertifizieren lassen. Bis Weihnachten wollte er die Investitionen wieder hereinholen – aus der Traum! Er will jetzt nach Schweden auswandern! Weißt du was, Ingo? Wir sollten mit ihm auswandern und in Schweden weiterhin seine Stammgäste bleiben.

  • Nun beruhige dich, Jupp. Unser Finanzminister hat doch zehn Milliarden Euro an Helikoptergeld für die Gastronomie und das Hotelgewerbe angekündigt: 75% des Umsatzes vom November 2019 will er zuschießen.

Das ist doch Augenauswischerei. Und was ist im Dezember? Und im nächsten Jahr? Glaubst du denn, dass der Corona-Virus zu Weihnachten verschwindet? Wir werden damit leben müssen wie mit der jährlichen Grippewelle. Die Impfungen werden frühestens im Sommer für die breite Bevölkerung verfügbar sein. Und wer weiß, was bis dahin mit den Corona-Skeptikern passiert? Wenn der Staat weiterhin hart durchgreift, werden sie in den Untergrund gehen und dort in privaten Kellern neue Superspreader Hotspots einrichten.

  • Jupp, warte noch mal ab. Gegen die aktuellen Shutdown-Bestimmungen der Kanzlerin und ihrer Ministerpräsidenten regen sich flächendeckend Widerstände, sogar von medizinischer Seite. Da wird man einiges wieder korrigieren müssen, zumal die Gerichte zunehmend kritischer viele behördliche Auflagen unter die Lupe nehmen und bislang keine Einbindung der Parlamente in Bund und Länder stattgefunden hat.

Behördliche Auflagen, hör mir auf Ingo! Im Frühjahr war es verboten, auf einer Parkbank ein Buch zu lesen und sich im Park länger aufzuhalten. Kürzlich hat hier im Kiez eine kleine Fahrraddemo zum Klimawandel mit Müttern und ihren Kindern stattgefunden. Der Veranstalter hat doch tatsächlich im vorauseilenden Gehorsam die gleichzeitige Nutzung von Fahrradhelm und Mundschutzmaske verboten. Begründung: Vermummungsverbot! Vermummungsverbot bei kleinen Kindern und ihren Müttern? Ja geht’s denn noch?

  • Jupp, nicht so laut – dein Mikrofon übersteuert schon. Ich stimme dir ja zu, die Staatsmacht wirkt durch solche Eskapaden lächerlich und unglaubwürdig. Zumal die absurd hohen Bußgelder, Reise- und Beherbergungsverbote von etlichen Gerichten in über 60 Urteilen für unwirksam erklärt worden sind. Damit provoziert der Staat erst recht die Rebellion vor allem der Jugendlichen und füttert die Maskenverweigerer. Er hat es einfach versäumt die beschlossenen Maßnahmen vorab mit den Betroffenen und Fachleuten zu kommunizieren. Diese Risikokommunikation ist weitgehend in die Hose gegangen: die paar Virologen waren unter sich, die Epidemiologen blieben anfangs vor der Tür, die Lungenfachärzte, Intensivmediziner, Kinderärzte und Pflegekräfte hatten keine Zeit für Erklärungen. Gerontologen, Psychologen, Psychotherapeuten, Soziologen, Pädagogen und Erzieher, die die negativen Auswirkungen des Shutdowns dargelegt hätten, haben nur gestört und wurden ignoriert. Die Mathematiker und Statistiker haben sich in ihren Kämmerchen angesichts des dilettantischen Missbrauchs von Dateninterpretationen die Haare gerauft. Den Unternehmern und Wirtschaftswissenschaftlern blieb zunächst die Sprache weg, ebenso den Juristen, die am Anfang tatenlos der Aushöhlung der verfassungsmäßigen Grundrechte zuschauten. Wo waren die Heerscharen von Beratern des Innen-, Justiz- und Wirtschaftsministeriums? Dafür gab es aber selbst­ernannte Medizinexperten genügend, die stündlich die Fernsehstudios füllten.

Ja Ingo, Medizinexperten haben wir wahrlich genug. Sie sollen mir mal eins erklären: in den letzten Wochen haben wir wie verrückt die Hände gewaschen, Masken getragen, überall Abstand gehalten - bis auf einige unverbesserliche Chaoten und Hochzeitsgesellschaften natürlich – und trotzdem steigen jetzt explosionsartig die Zahlen? Der Gesundheitsminister trägt wohl auch beim Schlafen seine Maske und dennoch hat er sich infiziert? Der Präsident der Bundesärztekammer bezweifelte in einer Talkshow von Markus Lanz den Nutzen von Masken. Zwei Tage später musste er allerdings seine Meinung widerrufen. In einem Fachartikel der Krankenhaushygiene zerpflückt ein Autorenteam die Maskenempfehlungen des RKI und fordert konkrete Nachweise der Wirksamkeit. In den Schulen reißen sie die Fenster auf, aber die Schüler sollen draußen Masken tragen? Dabei gibt es in den Schulen und Kitas so gut wie keine Infek­tionen. Laut Statistik infizieren sich die meisten im Privatbereich, wir sollen aber wochenlang zu Hause bleiben? Da treffen sich jetzt die ganzen Kneipengänger, seit die Gaststätten dichtgemacht wurden. Dabei war der Aufenthalt gerade dort und in Hotels am sichersten, wenn man die illegalen Kellerbarparties mal konsequent ausschalten würde. Gleichzeitig bleibt der Bundestag offen, obwohl es dort schon etliche Infektionsfälle gibt. Und in den deutschen Urlaubsorten, wo sich die Situation gerade erholt hatte, werden die Touristen in den nächsten Tagen herausgeworfen.

  • Tja Jupp, du musst aber zugegeben, dass wir die Infektionsketten mit den bisherigen Maßnahmen nicht unterbrechen konnten. Der Rückgang in den Sommermonaten ist durch das warme Wetter und die UV-Strahlung bedingt, jetzt kommt die schon lange vorhergesagte zweite Welle. Die Verantwortlichen in den Behörden haben sich leider nicht rechtzeitig darauf vorbereitet und müssen nun zu diesen drastischen Regelungen greifen. Und wir in der Bevölkerung sind sicherlich auch leichtsinniger geworden, nachdem die Zahlen der Erkrankten und Sterbefälle über Monate stabil blieben.

Ingo, wir haben gestandene Politiker, die sagen, Angst ist ein schlechter Ratgeber, aber selbst jeden Tag Angst und Schrecken verbreiten. Angeblich ist das tödlichste aller tödlichen Viren im Umlauf, trotzdem reichen für Infizierte anscheinend vierzehn Tage Quarantäne ohne Medikamente? Wenn man sich die Übersterblichkeitswerte anschaut, dann liegt Spanien an der Spitze mit 121 pro 100.000 Einwohner, Großbritannien und Belgien mit 99, gefolgt von Italien und USA mit 85. Und Deutschland? Mit Österreich und der Schweiz verschwinden wir mit 9 im statistischen Rauschen. Dabei sterben jeden Tag 330 Deutsche am Rauchen und 200 am Alkohol. Für uns soll eine Armlänge Abstand reichen, während sich unsere Volksvertreter hinter Panzerglas und Wassergräben verschanzen? Es sind die gleichen Politiker, die uns zum Verzicht mahnen, sich ihre Diäten aber automatisch erhöhen. Dabei verballern sie Milliarden deutscher Steuergelder, während die, die vierzig Jahre unseren Wohlstand erwirtschaftet haben, Flaschen sammeln gehen.

  • Jupp, berücksichtige bitte als alter Krankenhaushase, dass sich auf unseren intensivmedizinischen Stationen die Lage dramatisch zuspitzen kann, wenn immer mehr beatmungspflichtige Patienten eingeliefert werden. Nicht die Beatmungsgeräte sind der Engpass, davon haben schon ausreichend genug. Nachdem Jens Spahn wohl etwas überstürzt 25.000 Beatmungsgeräte geordert hatte, will er nun Tausende dieser Geräte verschenken. Als Zugabe gibt er noch 250 Millionen Mund-Nasen-Schutzmasken kostenlos obendrauf, weil die sich dem Verfallsdatum nähern. Nein, sein Problem ist vielmehr der gravierende Mangel an ausgebildeten Intensivpflegekräften, nachdem sie sein Ministerium jahrzehntelang durch Missachtung gründlich vergrault hat. Da helfen auch ein abendlicher Applaus und eine symbolische Prämie nicht viel weiter. Was man unserem staatlichen Gesundheitswesen vorwerfen darf, dass es aus der Risikoanalyse der großen Pandemie-Simulation von 2012 nichts gelernt hat. Bei dieser umfangreichen Simulation eines modifizierten SARS-Virus waren das Robert-Koch-Institut und viele weitere Bundesbehörden beteiligt. In einer Prognose hatten sie den Verlauf der Covid-19-Pandemie mit 8% Erkrankten im Maximum erstaunlich gut vorhergesagt und eine Fülle an Vorbeugungsmaßnahmen vorgeschlagen. 

Und noch ein Beamter im KRITIS-Referat KM 4 des Bundesinnenministeriums hatte im Mai 2020 mit ein paar externen Wissenschaftlern eine interne Risikostudie angefertigt. Leider hatte er sich zu sehr kritisch über das bisherige Krisenmanagement ausgelassen. Als die Studie im Internet landete, erklärte sein Chef, Minister Seehofer, die Arbeit kurz zu einer nichtautorisierten Privatmeinung und leitete die Strafversetzung ein. Dabei hätte er beim Lesen eine Menge über seine Fehler lernen können. Der wahre Grund ist doch, dass unsere Regierungen seit Generationen durch ihre Lobbyabhängigkeit die falschen Prioritäten setzen. Wir überlassen unzählige öffentliche Plätze den Drogendealern und gegen die tief festsitzende Clankriminalität können wir wegen Personalmangel nicht vorgehen. Aber wir haben plötzlich tausende Beamte, die die Maskenpflicht durchsetzen sollen und in den Gaststätten kontrollieren, dass wir unsere Anmeldeformulare richtig ausfüllen, wenn wir mal eine Tasse Kaffee trinken wollen.

  • Da du gerade KRITIS erwähnst, Jupp: ich verweise auf den neuesten Lagebericht des Bundesamtes für Sicherheit in der Informationstechnik, die einen exzellenten, aber auch erschreckenden Lage­bericht für 2020 abgeliefert haben. Demnach ist die Vermehrungsrate von Computerviren um einiges höher: das BSI zählt durchschnittlich 322.000 neue Schadprogramm-Varianten pro Tag. Mittlerweile sind schon 24,3 Millionen Patientendatensätze öffentlich im Internet zugänglich. Kein Wunder, jeder zehnte Nutzer bewegt sich ohne Schutz im Netz, und dass im Boom der Home-Offices. Aber ich sehe schon, du bist auf die Politiker nicht gut zu sprechen, Jupp. Aber vergleiche unsere gegenwärtige Situation mal mit den anderen Ländern. Deutschland ist verglichen mit unseren Nachbarn noch eine Insel der Seligen. Wir werden bewundert und auch beneidet um unsere geringe Krankheits- und Sterberate. Dabei standen wir beim Global Health Security-Index der WHO 2019 abgeschlagen mit 66 von 100 Punkten auf Platz 14 der am besten für eine Pandemie vorbereiteten Länder. Und weißt du, wer die drei Spitzenplätze errungen hatte: USA mit 83,5 %, Großbritannien und Niederlande.

Na, da bin ich aber auf die Bewertung für 2020 gespannt. Am 1. Dezember wird ja wieder der Welt-Aids-Tag zelebriert. Wie ich vor kurzem gelesen habe, ist diese über dreißig Jahre alte Pandemie immer noch aktiv. 2018 hatten sich weltweit 1,7 Millionen mit Aids neu infiziert und sogar in Deutschland waren es 1.600 bei 440 Todesfällen. Davon spricht kaum einer noch, man hat sich anscheinend daran gewöhnt.  Aber Ingo, nur so nebenbei als Warnung, weil du USA erwähnt hast. Lass uns jetzt bloß nicht über die US-Wahlen diskutierten, sonst rege ich mich nur noch bis zum Herzinfarkt auf. Dieses Thema heben wir uns besser für die nächste Runde auf.

  • Abgemacht Jupp, ich werde natürlich auf deine Gesundheit Rücksicht nehmen. Laut Ärztezeitung vom 11.10.2018 haben sich Wissenschaftler vom Institut für Biochemie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg die entzündungshemmende Wirkung von Bierinhaltsstoffen ange­schaut. Sie empfehlen allerdings alkoholfreies Bier.
    Darum schlage ich vor, nachdem du ja ordentlich Dampf abgelassen hast, dass wir uns virtuell auf dem Bildschirm zuprosten und zur Vorbeugung jeder ein Bier genehmigen.
    Und dabei eine Gedenkminute für unseren Wirt einlegen.

Klar machen wir. Prost, Herr Wirt. Und viel Erfolg in Schweden.

 

Sprüche aus dem Internet zur Maskenpflicht:

  • Habe gerade gelesen, dass diese Mund-Nasen-Masken auf Plattdeutsch Snuttenpulli heißen.
  • Statt Maskenpflicht wäre ich ja für eine „Benutz Dein Gehirn“ Pflicht.
    Aber mich fragt ja wieder mal niemand.
  • Extrem attraktive Menschen wie wir sind die großen Verlierer dieser Maskenpflicht.
  • Fünf Tage Maskenpflicht und langsam kann ich die schlechte Laune von Darth Vader nachvollziehen.
  • Habe gehört: wenn man Atemschutzmasken über Nacht in Alkohol einlegt, …
    wird der Tag wesentlich lustiger und entspannter.
  • Einen Vorteil hat ja die Maskenpflicht … man kann auch mal ohne Zähne aus dem Haus.
  • Wenn ich mir anschaue, wie manche Menschen ihre Masken tragen, wird mir langsam klar, warum die Verhütung so oft schiefläuft.
  • Bin gerade mit meinem Liebsten vom Einkaufen gekommen. Hab ihm die Maske abgenommen. Es war der Falsche. Passt auf, wen ihr mitnehmt!
  • Wer eine Maske unangenehm findet, wird ein Beatmungsgerät hassen.

 

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Kommentar von Achim Hürster |

Bitte, bitte weiter so!!!

Kommentar von Pascal |

Ich kann mich dem nur anschließen und lese die Nörgelein schon seit langer Zeit mit Interesse. Die humorvolle Art und Weise mit der Jupp und Ingo das aktuelle Weltgeschehen diskutieren und kommentieren ist dabei mit vielen Informationen verknüpft, die mir manchmal selbst durch die Medien entgangen sind. Der Stammtisch sollte auf jeden Fall fortgeführt werden :-). Wenn nicht jeden Monat, dann bitte wenigstens einmal im Quartal. Schade, dass das Feedback bislang so verhalten ausfällt.

Danke für alle bisherigen Episoden.

Kommentar von Konrad Brod |

Ja, bitte weiter so! Das humorvolle Streitgespräch zwischen Jupp und Ingo hat viel informativen Inhalt.