Alle anzeigen

EU-Kommission regelt die Fussball-WM 2014!

von Ingo Nöhr

Wir danken dem Verlag MEDI-LEARN.net GbR für die freundliche Erlaubnis, Cartoons von Rippenspreizer verwenden zu dürfen. Mehr Cartoons sind unter http://www.medi-learn.de/cartoons/ zu finden.
Vielen Dank MEDI-LEARN.de!

Jupp hatte unsere letzte Kneipenrunde wegen „dringender Renovierungsarbeiten“ abgesagt. Da ich neugierig geworden bin, besuche ich ihn zu Hause. „Ab dem 12. Juni gibt es einen Monat lang Fussball-WM, du Sportbanause!“ empfängt er mich, inmitten von einem Kabelgewirr, welches eine 8-Kanal-Dolby-Surround Hifi-Anlage mit einem Dutzend Lautsprechern und einem riesigen Fernsehbildschirm verbindet. Diese Beleidigung lasse ich nicht auf mich sitzen und überrasche ihn mit folgenden Insider-Nachrichten.

Hallo, Jupp, hast du schon gehört? Die EU-Kommission tritt mit einer eigenen Mannschaft bei der  Fußball-WM in Brasilien auf! Und kümmert sich vorrangig um die Sicherheit.

Quatsch, Ingo. Die haben sich doch garnicht qualifiziert.

Brauchten sie auch nicht. Die EU hatte ausreichend politische Druckmittel, um die Teilnahme zu erreichen.

Wie das denn? Die EU ist doch für Fussball garnicht zuständig.

Sie haben sich einfach für zuständig erklärt,  nachdem durch Europol in den Jahren 2008 bis 2011 über 700 korruptionsverdächtige Spiele aufgedeckt wurden. Und auf der Kundenliste der gedopten Radfahrer standen auch eine Menge Fußballer. Die EU-Kommission beruft sich erfolgreich wie immer auf ihren Auftrag für Sicherheit und Gesundheitsschutz in Europa.

Aber die Spiele finden doch in Brasilien und somit außerhalb der EU statt. Da hat die Kommission nichts zu sagen.

Na ja schon, aber von den 32 Spielnationen der WM liegen 12 in Europa. Darunter die größten Kassenmagneten wie Spanien, Niederlande, Großbritannien, Italien, Frankreich und Deutschland.

Und die lassen sich das einfach gefallen? Was sagt denn die FIFA dazu? Die hat sich doch schon 2010 erfolgreich gegen die Umsetzung der Doping-Richtlinie der Welt-Anti-Doping-Agentur WADA gesperrt.

Die FIFA hat natürlich erst gemault. Aber dann hat die Kommission angedroht, die Europäischen Richtlinien für Arbeitsschutz und Arzneimittel auf alle Fußballverbände in Europa anzuwenden. Wenn sich da erstmal die Europäische Arzneimittelagentur in London mit dem Dopingverdacht befassen wird, schlackern einigen Vereinsfunktionären ganz gewaltig die Hosen. Und denk nur mal an den Arbeitsschutz: EG-Richtlinien zu Lärm und Vibrationen, Persönliche Schutzausrüstungen, Benutzung von Arbeitsmitteln, Gefährdungsbeurteilungen am Arbeitsplatz – der reinste Horror für die FIFA und ihre Fußballwelt. Von der Korruption und Geldwäsche ganz zu schweigen.

Ach ja, stimmt. Die Fußballer kann man ja durchaus als Arbeitnehmer bei der Arbeit betrachten, für die gilt natürlich das ganze Regelwerk genauso. Aber wieso wollen die denn plötzlich als Mannschaft mitspielen? Und wer überhaupt? Die EU-Leute haben doch gar keine Zeit. Jetzt wollen sie doch auch noch die Staubsauger und Kaffeemaschinen regulieren.

Das stimmt schon. Auf den Gebieten des Stromsparens sind die EU-Bürokraten gerade vollauf beschäftigt. Aber jetzt denke mal an die vielen arbeitslosen Fachleute in Brüssel, die sich seit Jahren mit den Medizinprodukten befaßt haben. Über tausend Änderungsanträge für die neue EU-Verordnung liegen brach, weil im Mai die EU-Parlamentswahlen sind. Als nächstes werden erst die zuständigen Gremien neu besetzt und dann fängt die Diskussion wieder von vorne an. Jetzt sitzen sie alle da und drehen solange Däumchen.

Und warum denn ausgerechnet Medizinprodukte? Was hat das mit dem Fußball zu tun?

Tja, so wie schon vor 60 Jahren unser seliger Nationaltrainer Sepp Herberger sagte: „Der Ball ist rund“, so mußt du heute ergänzen „… und ein Medizinprodukt.“

Was? Brazuka, der WM-Fußball ein Medizinprodukt? Wie soll das denn gehen?

Nimm einfach die Definition eines Medizinproduktes. Ich zitiere mal die zutreffenden Textteile: „alle einzel verwendete Gegenstände, die vom Hersteller zur Anwendung für Menschen für folgende Zwecke bestimmt sind: … Veränderung des anatomischen Aufbaus oder eines physiologischen Vorgangs ... und deren bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische oder immunologische Mittel noch metabolisch erreicht wird, deren Wirkungsweise aber durch solche Mittel unterstützt werden kann.“ Der Fußball dient der körperlichen Ertüchtigung, baut Muskeln auf und stärkt Herz und Kreislauf. Also ein Medizinprodukt.

Ach ja? Ist ja interessant. Und zu welcher Risikoklasse gehört der Fußball dann, bitte schön?

Gute Frage. Er ist zunächst einmal nicht invasiv und nicht aktiv sowie von vorübergehender Anwendungsdauer. Also würde man ihn in die niedrigste Klasse I einstufen können. Wäre da nicht die Regel 17:  „Produkte, die unter Verwendung von abgetöteten tierischen Geweben oder Folgeerzeugnissen hergestellt wurden, werden der Klasse III zugeordnet“. Das ist bei einem Lederball immer der Fall, da er aus Rindsleder hergestellt wird.

Aber Regel 17 gilt doch nicht bei Berührung mit unverletzter Haut.

Hast du dir mal die Fußballer am Ende des Spieles angeschaut? Jede Menge Hautverletzungen durch Abschürfungen, Prellungen und Stürze. Und außerdem: bei Kopfbällen hast du zudem noch eine gefährliche Einwirkung auf das Zentrale Nervensystem, nämlich das Gehirn. Also ich denke, die Eingruppierung in die höchste Risikoklasse ist schon zu rechtfertigen. So steht es auch im ersten WM-Mängelbericht der EU-Kommission.

Wieso WM-Mängelbericht? Die WM hat doch noch garnicht stattgefunden.

Ja, aber die Experten haben natürlich die Sicherheitslage vorab untersucht und wie gewohnt schon mal einen Richtlinien-Vorschlag erarbeitet. Sie empfehlen ein erweitertes Regelwerk von etwa 2.000 Seiten Umfang. Es beschreibt die Konformitätsbewertungsverfahren für den Fußball und das Zubehör, die Zertifizierungsanforderungen zur Qualifizierung der Schieds- und Linienrichter, der Trainer und Fußballkommentatoren und vieles mehr.

2000 Seiten für den Fußball?

Neben den Arbeitsschutz-Richtlinien und der EU-Verordnung zur Textilkennzeichnung bei den Trikots sind ein halbes Dutzend weiterer EU-Richtlinien der Neuen Konzeption betroffen, die alle bei der CE-Kennzeichnung beachtet werden müssen:

  • Richtlinie für Persönliche Schutzausrüstungen für die Fußballschuhe, Schienbeinschützer und Torwarthandschuhe,
  • Maschinenrichtline und Druckbehälter-Richtlinie für die Geräte zum Aufpumpen des Fußballs,
  • Niederspannungs- und EMV-Richtlinie für die Anzeigetafeln, Bildschirme im Stadion und elektronischen Sensoren im Fußball,
  • Bauprodukte-Richtlinie für die Torkonstruktionen und Stadienbauten,
  • Spielzeug-Richtlinie, falls der Fußball nur zum einfachen Kickern verkauft wird.

Das ist ja Wahnsinn. Das schafft ja wieder Tausende von Arbeitsplätzen. Es stimmt schon: Kleinlebewesen vermehren sich durch Zellteilung, Bürokratien durch Arbeitsteilung.

Na klar doch. Die Europäische Kommission ist doch die perfekte Realisierung des Parkinsonschen Gesetzes zum Bürokratiewachstum. Es gibt nur noch wenige Gebiete, die von Brüssel bisher nicht geregelt wurden.

Der Fußball hat also künftig ein CE-Zeichen? Dann braucht er ja auch ein Etikett mit den Herstellerangaben. Und Warn- und Benutzungshinweise wie: „Bitte hier hintreten!“ und „Nicht hineinstechen!“

Das ist noch nicht alles. Schau mal in die Grundlegenden Anforderungen: Infektionsschutz, Abgabe von Energie, Brandschutz, Gebrauchsanweisungen und vor allem Punkt 8.2. „Gewebe tierischen Ursprungs müssen von Tieren stammen, die tierärztlichen Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen unterzogen wurden.“ In Verbindung mit den Risikoanalysen und der klinischen Prüfung kommt da für die Technische Dokumentation eine Menge Papier zusammen. Vergiß nicht, du hast ein Klasse III Produkt vor dir.

Was sagen denn die Amerikaner dazu? Schließlich kommen zehn der 32 Teilnehmer vom amerikanischen Kontinent.

Ja, die nehmen die Aktion als Rache der Europäer auf ihren FDA-Bericht über die 12 nutzlosen Medizinprodukte, die als Hochrisikoprodukte eine EU-Zulassung hatten und gewaltigen Schaden angerichtet haben. Sie wollen im Gegenzug die NSA beauftragen, alle europäischen Fußballer und Funktionäre auszuforschen. Und dann setzen sie alle wegen Verdacht auf Geldwäsche oder Korruption bei den Fluggesellschaften auf die schwarze No-Fly-List. Genial, was?

Wunderbar. Neben dem Cyber-Krieg und der Ukraine-Krise haben wir nun auch noch den Fußballkrieg am Hals. Wie sagte doch Reiner Calmund hellseherisch: "Ich weiß, dass das nicht so einfach ist, aber wir sind hier nicht in der Krabbelgruppe."

Anmerkung:

Irgendwann werden die EU-Bürokraten dann merken, dass der WM-Fussball schon seit 1986 aus vollsynthetischem Material hergestellt wird und seitdem kein Fitzelchen Leder mehr enthält. 

Zurück

Einen Kommentar schreiben