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The same procedure as every year?

von Ingo Nöhr

Wir danken dem Verlag MEDI-LEARN.net GbR für die freundliche Erlaubnis, Cartoons von Rippenspreizer verwenden zu dürfen. Mehr Cartoons sind unter http://www.medi-learn.de/cartoons/ zu finden.
Vielen Dank MEDI-LEARN.de!

Wir brauchen nicht so fortzuleben, wie wir gestern gelebt haben.
Macht euch nur von dieser Anschauung los, …  
und tausend Möglichkeiten laden uns zu neuem Leben ein.
(Christian Morgenstern)

Schon wieder ist ein Jahr vorüber. Überraschende und auch beängstigende Ereignisse unterstützen augenscheinlich die These von Ingo Nöhr, dass Umbrüche in der Gesellschaft bevorstehen, weil die alten Rezepte der Mächtigen zur Gestaltung an ihre Grenzen gestoßen sind. Das bequeme Aussitzen von Problemen wirkt nicht mehr, die Bürger werden immer unruhiger.

Droht uns eine totale Überwachungsgesellschaft, wie es mit dem Sozialkreditsystem in China schon ansatzweise praktiziert wird? Jeder Bürger erhält dort bis 2020 zur Festlegung seiner gesellschaft­lichen Reputation einen Social Score, welcher von staatlichen und privaten Datenbanken aus den Daten zur finanziellen Bonität, zum Strafregister sowie zum sozialen und politischen Verhalten berechnet wird.

Was wird das neue Jahr bringen? Seit zwei Jahren nun probiert Ingo Nöhr die Idee Voltaires, in der Besten aller Welten zu leben, während sein Kumpel Jupp angesichts der Weltlage immer mehr in Depressionen verfällt. Noch etwas verkatert treffen sie sich zum monatlichen Frühschoppen in ihrer Eckkneipe.

  • Guten Morgen Ingo und frohes Neues Jahr. Du musst heute etwas lauter sprechen. Ich habe noch einen Gehörschaden von der ganzen Knallerei gestern.

Ebenso, dir auch ein frohes Neues, Jupp. Du wirst aber heute Nacht nicht nur deine Hörzellen geschädigt haben, sondern auch deine Lunge durch die 20-fache Überschreitung der zulässigen Grenzwerte für Feinstaub. Die in der Silvesternacht freigesetzte Menge entspricht ungefähr 15% der Jahresbelastung durch den gesamten deutschen Straßenverkehr. Dagegen erscheinen die drohenden Dieselverbote in den Städten doch nur noch als Peanuts.

  • Ingo, lass uns das Thema wechseln. Hast du am Silvesterabend auch wieder Dinner for One gesehen? Ist bei uns jährliche Tradition. Gehört einfach zum Jahresabschluss dazu! 1963 gedreht und heute immer noch aktuell! Das ist Kult. Allein die Namen der Gäste: Admiral von Schneider, Mr. Pommeroy, Mr. Winterbottom und Sir Toby. Miss Sophie hat mich plötzlich an Angela Merkel erinnert. Völlig realitätsfern lebt auch sie in sich ruhend, selbstzufrieden und abgehoben in ihrer eigenen Welt, umgeben von ihren nicht mehr störenden Ministern.

Interessante Assoziation, mein lieber Jupp. Demzufolge ist Butler James wohl die Verkörperung des deutschen Michels: seinem Schicksal ergeben und zunehmend trunken folgt er willfährig und ohne Hinterfragen den Befehlen seiner Herrin.
Nebenbei bemerkt: der Münchner Versicherungskonzern Allianz hat eine fiktive Schadensakte erstellt. James richtet mit seiner Bedienung einen Schaden von 2120 Euro an. Die Reparatur des Tigerfells kostet allein 2000 Euro, zudem wurden Teppich und Tischdecke ramponiert.
„Als Angestellter von Miss Sophie sind die Missgeschicke von Butler James als Eigenschäden der Arbeitgeberin anzusehen und damit nicht versichert“, sagt Allianz-Expertin Mirjana Hasdorf-Achatz. Durch seinen mehrfachen Alkoholkonsum während der Arbeit gilt er als Wiederholungstäter. „Da müssten wir natürlich aus versicherungsrechtlicher Sicht überlegen, zu welchen Konditionen wir ihn künftig versichern.“

 

  • Und wie im wirklichen Leben, Ingo, hat diese kostspielige Aktion für ihn keine Konsequenzen. Nach dem Viergänge-Menü kündigt Miss Sophie an, sich zurückzuziehen: "I think I'll retire". Daraufhin warten wir bei Misses Angela immer noch. James fragt daraufhin noch ein letztes Mal: "The same procedure as last year, Miss Sophie?" und erhält darauf die übliche Antwort: "The same procedure as every year, James!" Also droht uns wohl noch mal vier Jahre Merkelei.

Jupp, gib doch nicht immer der Merkel die Schuld. Die Fehler, die eine Regierung macht, werden erst von der Verwaltung so richtig ausgeschöpft. Die gutgemeinte, politische Willensbildung wird zwischen den Mühlrädern der Administration bis zur Konturlosigkeit zerrieben. Wir planen die Gesellschaft 4.0, die aber immer noch mit der Verwaltung 1.0 von Kaiser Wilhelms Zeiten klarkommen muss. Unsere Bürokratie ist in superfesten Beton gegossen, geschützt vom föderalen System und einer absurd ausgeuferten Gesetzgebung. Es wird sich auch nichts ändern können. Kein Wunder, dass so viele Versager in Politik, Verwaltung und Management sitzen. In keinem Beruf wird man bei völligem Totalversagen nicht zur Rechenschaft gezogen, sondern mitunter auch noch wegbefördert.

  • Und dabei stopfen sie sich noch gierig die Taschen voll. 48 Millionen Euro haben unsere Abgeordneten durch Nebenjobs verdient. Und Ex-Air-Berlin Chef Winkelmann kassiert nach nur einem Jahr Arbeit eine Abfindung von 4,5 Millionen Euro. Ingo: Arthur Schopenhauer hat mal gesagt: „Der Reichtum gleicht dem Seewasser – je mehr man davon trinkt, desto durstiger wird man.“ Diese unersättliche Gier nach Geld, das gab es früher doch nicht.

Du meinst also, früher war alles besser, Jupp? Ich glaube dagegen, Voltaires Professor Pangloss hat recht damit, dass wir in der besten aller Welten leben. Reichtum und Armut sind relative Begriffe. Schauen wir mal in den aktuellen Armutsbericht der Bundesregierung hinein: „Armut ist ein Mangel an Mitteln und Möglichkeiten, das Leben so zu leben und zu gestalten, wie es in unserer Gesellschaft üblicherweise auf Basis des historisch erreichten Wohlstandsniveaus möglich ist“. Verglichen mit den Möglichkeiten aus früheren Zeiten und in anderen Ländern haben wir doch ein unglaublich hohes Lebensniveau erreicht.

Ein heutiges Baby in Deutschland ist mit einer Lebenserwartung von fast 100 Jahren ein ausgesprochenes Glückskind: 99,5% aller Kinder werden in ärmeren Ländern unter schlechteren Bedingungen geboren. In der Lotterie des Lebens hat es bei der Ziehung besser getroffen als die über 100 Mrd. Menschen, die je auf der Erde gelebt haben, egal, welchen Reichtum sie angehäuft haben. Der reichste Mensch, der jemals gelebt hat, war der deutsche Jakob Fugger mit etwa 400 Mrd. Euro heutiger Kaufkraft. Aber mit heutiger Lebensqualität verglichen war er doch ein armer Mensch: ohne Strom, fließend Wasser, Klimaanlage und wirksamer medizinischer Versorgung. Stell dir nur mal die Behandlung eines vereiterten Zahnes vor.

  • Du hast recht, Ingo. Ich habe mal gehört, dass der superreiche Bankier Nathan Mayer Rothschild mit 58 Jahren an einem simplen Furunkel starb, der eine Sepsis ausgelöst hatte. Dabei besaß die Familie Rothschild einhundert Jahre lang die größte Bank der Welt. Heutzutage hätte ihn ein Antibiotikum für wenige Cent gerettet.

Tja, die Superreichen. Sind sie glücklicher als wir? Im Armutsbericht heißt es bei den Definitionen weiter: „Reichtum ist eine Lebenslage, in der die Betroffenen weit überdurchschnittliche Entfaltungs- und Gestaltungsmöglichkeiten haben.“ Mir gefällt dabei die Idee, dass ein Reicher als ein Betroffener gilt. Über den Durchschnitt zu leben, bedeutet doch, dass man nach oben hin keine abschließende Skala mehr sieht. „Menschen, die nach immer größeren Reichtum jagen, ohne sich jemals Zeit zu gönnen, ihn zu genießen, sind wie Hungrige, die immerfort kochen, sich aber nie zu Tische setzen.“ Die Erkenntnis stammt von Marie Freifrau von Ebner-Eschenbach. Es macht wenig Sinn, der reichste Mann auf dem Friedhof zu sein.

  • Ingo, ich sehe schon, wir steigern uns langsam in eine Zitatenschlacht. Aber da kann ich gut mithalten. Zum Beispiel mit dem chinesischen Philosophen Laotse: „Ein reicher Mensch ist einer, der weiß, dass er genug hat.“ Der Facebook-Gründer Mark Zuckerberg hat das beherzigt: er spendete 99 Prozent seines Vermögens, rund 45 Milliarden Dollar. Bill Gates und Warren Buffet starteten 2010 die Initiative Giving Pledge, wo sie alle Milliardäre auffordern, den größten Teil ihres Reichtums dem Gemeinwohl zu spenden. Und ich zitiere Napoleon Bonaparte: „Der Reichtum besteht nicht im Besitz von Schätzen, sondern in der Anwendung, die man von ihnen zu machen versteht.“

Jupp, ich gebe mich angesichts deines unerschöpflichen Repertoires an Weisheiten geschlagen. Zur unkontrollierten Anwendung von Reichtum möchte ich abschließend nur zu bedenken geben: Was sind die Ziele der Eigentümer von Google, Amazon, Facebook, Apple? Sie verschwenden kein Geld, sondern setzen es zielgerichtet und effizient für ihre eigenen Interessen und Zukunftsvisionen ein.  

  • Ingo, eines muss ich aber zur Ehrenrettung der alten Zeiten anführen. Auch wenn die damalige Lebensqualität nicht mit heute vergleichbar ist – das Bier hatten sie früher immer in ausreichenden Mengen zur Verfügung.

Gutes Stichwort, Jupp. Herr Wirt, bitte wieder zwei Bier zur Steigerung der Lebensqualität. Trinken wir also in diesem Fall auf die alte Tradition wie jedes Jahr. Prost.

Wenn Steuern . . .
das Gemeinwohl stärkten, statt Parteiklientelen und Lobbyvereinen zu dienen;
Handwerk und Kleingewerbe förderten, statt vor allem die Kassen von Großkonzernen zu füllen; gerecht nach dem Einkommen erhoben würden, statt trickreiche Großverdiener zu begünstigen; nicht von Politikern und Verwaltung verschwendet würden,
zahlten wir sie sicher liebend gern . . .
doch solche Wünsche gehören auf ‘nen andern Stern.
Prof. Querulix (*1946), deutscher Aphoristiker und Satiriker

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