Laudatio für Frau Dr. Undine Soltau
von Manfred Kindler
anlässlich ihrer Verabschiedung als langjährige Direktorin der Zentralstelle der Länder für den Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG)
Es war wohl Ende 1992, als ich im Rahmen einer Kooperation des westdeutschen Fachverbandes Biomedizinische Technik (FBMT) mit den ostdeutschen Kollegen zu einem Kongress in die Charité Berlin eingeladen wurde. Ich erinnere mich an einen überfüllten Hörsaal, in dem eine junge Dame einen sehr engagierten Vortrag zum Hygienemanagement hielt. „Das ist die Soltau“, raunte mir mein Kollege begeistert zu und fast andächtig lauschten wir den Ausführungen, denn sie strahlte tatsächlich ein außergewöhnliches Charisma aus. Nach dem Vortrag gab es eine heftige Diskussion, in der Frau Dr. Soltau massiv von einigen Zuhörern angegangen wurde, aber sie meisterte jede Provokation charmant mit einer qualifizierten Entgegnung.
In den 90er Jahren hatte ich einen großen Respekt vor den Leistungen der Biomedizintechnik in der damaligen DDR bekommen, zumal 1987 schon die Medizintechnik-Verordnung (MTVO) in Kraft getreten war, die durchaus mit unserer Medizingeräteverordnung (MedGV) mithalten konnte. An der Hochschule in Ilmenau wurde bereits 1953 ein Lehrstuhl für Biomedizinische Technik (BMT) eingerichtet und 1981 für BMT-Ingenieure ein Aufbaustudium zum Fachwissenschaftler der Medizin angeboten. Frau Dr. Soltau arbeitete an der Berliner Humboldt-Universität am Entwurf eines Medizinproduktegesetzes der DDR mit.
Ein halbes Jahr später, im Sommer 1993, wurde ich vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales in Nordrhein-Westfalen angefragt, ob ich beim Aufbau einer neuen zentralen Behörde der Länder zur Umsetzung der EG-Richtlinien für Medizinprodukte behilflich sein könnte. Der Haken dabei: die Stelle mußte in fünf Monaten arbeitsfähig sein, ansonsten werde die Aufgabe dem Bundesministerium für Gesundheit übertragen.
Mit einem kleinen Team machte ich mich in Düsseldorf an die Arbeit: Für die heutige Zentralstelle der Länder für Gesundheitsschutz bei Arzneimitteln und Medizinprodukten (ZLG) erstellten wir ein Umsetzungskonzept, ein Qualitätssystem, Verfahrensanweisungen und Checklisten zur Akkreditierung der künftigen Benannten Stellen. Kurz vor Ablauf des BMG-Ultimatums stellte sich nun die Frage nach einem geeigneten Direktor.
Mittlerweile hatte ich schon häufiger fachliche Kontakte mit Frau Dr. Soltau gehabt und so legte ich den staunenden Entscheidern im Ministerium ihre Referenzen vor:
- Dipl.-Ing. für Technische und Biomedizinische Kybernetik, Fachrichtung BMT und Bionik
- Fachwissenschaftlerin der Medizin auf dem Gebiet der Hygiene und Mikrobiologie
- Fach-Ingenieur für Atomsicherheit und Strahlenschutz
- Lehraufträge an der Medizinischen Fakultät der Humboldt-Universität, der Technischen Universität und der Freien Universität in Berlin
- Gründungsmitglied der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene und stellvertretende Vorsitzender der Kommission Hygienische Sicherheit der DGKH
- Leiterin des Arbeitsbereiches Medizintechnik im Institut für Krankenhaushygiene der Charité
um nur die wichtigsten Qualifikationen und Funktionen zu nennen.
Ihr Lebenslauf war also überaus beeindruckend, aber lange vor der Personalie Angela Merkel stellten sich im Ministerium die üblichen Reaktionen ein: eine Frau? Aus dem Osten? Mit welchem Hintergrund?
„Na, dann findet eben einen besseren Kandidaten!“
Nach intensiven Recherchen wurde die Suche trotz unzähliger Bewerbungen ergebnislos abgebrochen. Frau Dr. Soltau wurde gezielt ersucht, sich zu bewerben, in eine weitere Vorstellungsrunde eingeladen und am 13. Dezember 1993 als neue Direktorin eingestellt. Mit Unterstützung von Herrn Klausmann, einem abgeordneten Verwaltungsbeamten, wurden in Rekordzeit die wichtigsten technischen Arbeitsvoraussetzungen für die neue Behörde geschaffen. Am 2. Januar 1994 erfolgte mit Einstellung der ersten Mitarbeiter dann die Gründung der ZLG, gerade noch rechtzeitig.
Nun begann der schwerste Teil der Arbeit: die Umsetzung, nämlich die Akkreditierung der deutschen Prüfstellen für Medizinprodukte für die Benennung in Brüssel. Es zeigte sich schnell, dass sich die ZLG zwischen großen Mahlsteinen verschiedener Interessen befand: von Bund und Ländern, von verschiedenen Ministerien und ihren nachgeordneten Behörden, der Zentralstelle der Länder für Sicherheitstechnik (ZLS, die für die aktiven Medizinprodukte zuständig ist), der Industrie, des Fachhandels, den Prüfstellen, der medizinischen und technischen Fachgesellschaften, ganz abgesehen von der internen Bürokratie des zuständigen Ministeriums, welche wir beim Aufbau sträflich ignoriert hatten.
In kürzester Zeit mußten hochqualifizierte Mitarbeiter eingestellt und eingeführt, externe Fachleute für die Begutachtungen rekrutiert und Sektorkomitees für die einzelnen Fachdisziplinen aufgebaut werden, um die Grundlagen und Entscheidungen mit der erforderlichen Fachkompetenz zu hinterlegen.
Der Stuhl der Direktorin wurde schnell rotglühend und in den folgenden Jahren war an eine geregelte Arbeitszeit nicht mehr zu denken. Aus allen Ecken meldeten sich Neider, Bedenkenträger, Zukurzgekommene, Übergangene und sonstige „ZLG-Geschädigte“ und warfen ihr Sand ins Getriebe.
Zum großen Erstaunen der kritischen Beobachter erledigte die ZLG ihre Arbeit trotz der enormen Belastungen und widrigen Begleitumstände dank ihrer hochmotivierten Mitarbeiter außenordentlich erfolgreich. Im Sommer 1994 wurden von der ZLG die deutschen Prüfstellen als erste in Europa benannt, die sich dadurch eine führende Position im internationalen Medizinproduktebereich sichern konnten.
Und so ereilte Frau Dr. Soltau zunehmend das Schicksal aller erfolgreichen (und gutmütigen) Manager: man übertrug ihr in den folgenden 18 Jahren neben der Akkreditierung von Laboratorien und Zertifizierungsstellen für Medizinprodukte immer mehr Aufgaben:
- die Erweiterung der Medizinprodukte auf die In-vitro-Diagnostika,
- als zuständige Stelle für den nationalen Erfahrungsaustausch der Benannten Stellen,
- als benennende und überwachende Behörde im Bereich der Abkommen der EG mit Drittstaaten wie USA, Kanada, Australien, Neuseeland und der Schweiz,
- als Koordinierungsstelle der Länder im Arzneimittelbereich.
Leider waren diese Erweiterungen nicht mit zusätzlichen Ressourcen hinterlegt, da diese erst im Einvernehmen von den Finanzministern der 16 Bundesländer bereitgestellt werden mußten. Stets waren die neuen Herausforderungen von Frau Dr. Soltau gemeinsam mit ihrem treuen Mitkämpfer aus den Pionierzeiten, Dr. Rainer Edelhäuser, mit einer dünnen Personaldecke unter enormem Zeitdruck zu bewältigen. Zum krönenden Abschluß verlangte man noch von ihr, dass sich die Behörde aus den Einnahmen weitgehend selbst zu finanzieren habe. Auch dieses Kunststück brachte Frau Dr. Soltau fertig, indem sie als eine der ersten Behörden in Deutschland eine Kosten- und Leistungsrechnung einführte.
1997 führten die skeptischen Kanadier aufgrund der Drittstaatenabkommen eine ausgedehnte Inspektion des deutschen Arzneimittelüberwachungs- und –untersuchungssystems durch und zeigten sich anschließend beeindruckt vom ZLG Qualitätssystem, das in allen Inspektions- und Überwachungsstellen Anwendung fand. Eine weitere externe Organisationsuntersuchung bescheinigte der ZLG, „eine gelungene Antwort des föderalen Systems auf die neuen europäischen Herausforderungen“ zu sein. Externe Audits durch Bundesbehörden der Koordinierungsstelle Geregelter Bereich (KOGB) und durch die Deutsche Akkreditierungsstelle DAkkS fanden bei der ZLG ein funktionierendes und beanstandungsfreies Qualitätsmanagementsystem.
Nebenbei hatte sie noch als Repräsentantin der ZLG eine lange Liste von Beiräten, Ausschüssen, Kommissionen, Arbeitsgruppen und Normengremien zu besetzen, bei einem ersten Überblick komme ich auf über zwanzig nationale, europäische und internationale Organisationen.
Bei der Verabschiedung von Frau Dr. Soltau am 3. Juli 2012 gestand die seit zwei Jahren zuständige Staatssekretärin im Ministerium für Gesundheit, Emanzipation, Pflege und Alter, Frau Marlis Bredehorst, etwas verschämt, dass sie an diesem Tag die ZLG erstmalig besucht habe. Sie habe in der letzten Zeit etliche Brandherde zu bearbeiten gehabt. Und „da, wo etwas reibungslos funktioniert, muß man nicht kontrollieren“ – ein Kompliment der besonderen Art für die ZLG.
Frau Dr. Soltau bedankte sich abschließend bei ihren Mitarbeitern für die außergewöhnliche Leistung und mahnte hinsichtlich der Arbeitsbelastung vom Staat etwas mehr Fürsorgepflicht an.
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