Neue Meldepflichten für Vorkommnisse seit 1. Januar 2017

von Rudi Wuttke

Änderung der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung

Ab dem 1. Januar 2017 gelten die neuen Regelungen der Medizinprodukte-Sicherheitsplanverordnung (MPSV). Viele Gesundheitseinrichtungen tun sich noch schwer mit der Umsetzung dieser relativ kurzfristig in Kraft getretenen Änderungen, weiß unser Autor Rudi Wuttke. Sein Beitrag erläutert die wichtigsten Konsequenzen der neuen Vorschriften für Betreiber und Anwender.

Die Grundlage der Neufassung der Sicherheitsplanverordnung ist die am 27. September 2016 beschlossene „Zweite Verordnung zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften" [1], die auch die Grundlage der Neufassung der Betreiberverordnung ist [2].

Gesundheitseinrichtungen müssen vor allem folgende Änderungen beachten:

  1. Die Vorkommnis-Definition ist um Mängel der Gebrauchstauglichkeit ergänzt worden (§ 2 Nummer 1 MPSV wurde neu gefasst).
  2. Die bisherigen Sonderwege für Meldungen durch Angehörige der Heilberufe sind entfallen (§ 3 Abs. 4 MPSV wurde aufgehoben).
  3. Die an Vorkommnissen beteiligten Produkte/Materialien können den Verantwortlichen nach § 5 MPG zur Untersuchung überlassen werden (§ 12 Abs. 4 MPSV wurde ergänzt).

Vorkommnisdefinition:                                                                                                                                       Ergänzung um Mängel der Gebrauchstauglichkeit

Der erste Teil der Begriffsbestimmung zum Vorkommnis in § 2 Nummer 1 MPSV ist trotz redaktioneller Anpassungen inhaltlich weitestgehend unverändert geblieben. Danach ist ein „Vorkommnis

- eine Funktionsstörung,

- ein Ausfall,

- eine Änderung der Merkmale oder der Leistung oder

- eine unsachgemäße Kennzeichnung oder Gebrauchsanweisung eines Medizinproduktes,

die oder der unmittelbar oder mittelbar zum Tod oder zu einer schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustands eines Patienten, eines Anwenders oder einer anderen Person

- geführt hat,

- geführt haben könnte oder

- führen könnte".

Auch wenn diese Formulierung nicht unbedingt als besonders gelungen gelten kann: Die Adressaten wissen in etwa, was gemeint ist – oder sie ahnen es zumindest. Nicht nur ein Zwischenfall mit schwerwiegenden Folgen ist ein Vorkommnis nach MPSV. Auch ein Ereignis mit geringen Folgen kann unter den Vorkommnisbegriff fallen, wenn lediglich glückliche Umstände Schlimmeres verhindert haben („geführt haben könnte"). Selbst dann kann der Vorkommnisbegriff der MPSV zutreffend sein, wenn ein spezifisches Risiko lediglich bekannt wird, das zu Schädigungen „führen könnte".

Ein mittelbarer Kausalzusammenhang liegt auch dann vor, wenn für den Anwender nicht erkennbar aufgrund fehlerhafter Informationen eines Medizinproduktes über ein IT-Netz, z.B. PACS, an einem Patienten Maßnahmen vorgenommen werden, die zum Tode oder schweren Verletzungen führen.

Zusätzlich gilt explizit nun auch „ein Mangel der Gebrauchstauglichkeit, der eine Fehlanwendung verursacht" als Funktionsstörung. Mit dieser Ergänzung möchte das federführende Ministerium klarstellen, dass auch Mängel der Gebrauchstauglichkeit gemeldet werden müssen, wenn sie eine relevante Gefahr darstellen. Die Begründung nennt als Beispiel zwei nebeneinanderliegende, ähnlich aussehende Bedienelemente mit unterschiedlichen Funktionen, die im Notfall verwechselt werden können und eine Gefahr für Leben und Gesundheit sind [3]. Hinzu kommt, dass auch Mängel in der Gebrauchsanweisung als Produktfehler eingestuft werden und Anwendungsfehler verursachen können.

Es ist seit vielen Jahrzehnten bekannt, dass Anwender an vielen Zwischenfällen mit Medizingeräten ursächlich beteiligt sind und eine mangelhafte Usability der Produkte teilweise dazu beiträgt. Dennoch dürften viele erfahrene Medizintechniker/Mediziningenieure gerade auch in Kliniken sicherlich etwas überrascht darüber sein, dass dem Thema Gebrauchstauglichkeit nun eine so herausgehobene Bedeutung zugewiesen wird.

Keine Meldepflicht liegt vor, wenn es sich nicht um einen Produktfehler handelt oder ein Kausalzusammenhang mit einer tödlichen oder schwerwiegenden Verschlechterung des Gesundheitszustandes kaum wahrscheinlich oder sicher ausgeschlossen ist. Nicht unter den Vorkommnisbegriff fallen durch den gesundheitlichen Zustand der Patienten bedingte Ereignisse und fehlerhafte Anwendungen eines Produktes, denen keine produktbezogenen Ursachen zugrundeliegen.

Vorkommnismeldungen:                                                                                                                                                       Verpflichtung zur Einhaltung der direkten Meldewege für Heilberufler

Angehörige der Heilberufe wie Ärzte, Zahnärzte und Apotheker müssen künftig ihre Meldungen direkt bei der zuständigen Bundesoberbehörde machen, zumeist beim Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM), bei speziellen Produkten wie In-vitro-Diagnostika mit hohem Risko gegebenenfalls beim Paul-Ehrlich-Institut (PEI). Die bisherigen Sonderwege einer Meldung über entsprechende heilberufliche Kommissionen nach § 3 Abs. 4 MPSV (alte Fassung) sind entfallen. Wie alle anderen Adressaten der Meldepflichten für Vorkommnisse nach § 3 MPSV auch müssen Angehörige der Heilberufe in Zukunft ihre Meldungen elektronisch und maschinenlesbar vornehmen, auf dem von der zuständigen Bundesoberbehörde vorgesehenen Formular und vorgegebenen Weg.

Allerdings können Angehörige der Heilberufe weiterhin nach länderspezifischen berufsrechtlichen Regelungen ihrer Kammern zu Meldungen von Schädigungen oder Nebenwirkungen an entsprechende Kommissionen wie für die Arzneimittelsicherheit verpflichtet sein, seien diese Ereignisse nun Vorkommnisse nach § 3 MPSV oder auch nicht. Die berufsständischen Meldewege haben nach Einschätzung des Verordnungsgebers nicht zu einer signifikanten Verbesserung des Meldeaufkommens beigetragen und erschweren zudem durch die Verwendung abweichender Meldeformulare die Arbeit von BfArM und PEI [3]. Die für die elektronischen Meldungen von Betreibern/Anwendern zu verwendenden Formblätter stellen die zuständigen Bundesoberbehörden zusammen mit Hinweisen zu deren Verwendung auf ihren Internetseiten zur Verfügung [4]. Diese Formulare gelten auch für „sonstige Inverkehrbringer" wie Fachhändler und Apotheken, die aber für bestimmte Tätigkeiten wie das Messen von Blutdruck oder Blutzucker, die Vermietung von Milchpumpen oder die Versorgung mit Hilfsmitteln im Auftrag einer Krankenkasse auch den Betreibervorschriften unterliegen können.

Beteiligte Produkte/Materialien:
Überlassung zum Zwecke der Untersuchung nicht ausgeschlossen

Der neu gefasste § 12 Abs. 4 MPSV bekräftigt nochmals, dass Anwender und Betreiber wie auch schon bisher dafür Sorge zu tragen haben, dass Medizinprodukte und Probenmaterialien nicht vor Abschluss der Risikobewertung durch die zuständige Bundesoberbehörde verworfen werden, wenn sie unter dem Verdacht stehen, an einem Vorkommnis beteiligt zu sein. Das soll eine Weitergabe an Verantwortliche nach § 5 MPG oder Sponsoren zu Untersuchungszwecken aber nicht ausschließen. Denn diese sind es, welche die Produktverantwortung tragen und mithin in erster Linie zur Risikobewertung verpflichtet sind [3]. Erwähnt werden muss in diesem Zusammenhang noch ein Hinweis auf der Internetseite des BfArM, nach dem betroffene Medizinprodukte grundsätzlich nicht an die Bundesoberbehörde gesendet werden sollen.

Da es gerade bei Anwendern und Betreibern hinsichtlich ihrer Meldepflichten immer noch erhebliche Missverständnisse gibt, soll abschließend auf deren große Bedeutung für die Verbesserung der Medizingerätesicherheit hingewiesen werden. Meldungen von Vorkommnissen sind keine Schuldzuweisungen oder Schuldeingeständnisse [5]. Schnelle und vollständige Meldungen von Vorkommnissen gerade von Anwendern und Betreibern können dazu beitragen, Risiken durch Medizinprodukte und Gefahren für Patienten, Anwender und Dritte frühzeitig zu erkennen und Gegenmaßnahmen zu ergreifen, um Vorkommnisse und insbesondere auch deren Wiederholung zu verhindern. Auf die wachsende Bedeutung von betreiberinternen CIRS-Meldesystemen im Rahmen des Risikomanagements sei besonders hingewiesen. Sanktionen wegen Nichtbeachtung der Meldepflichten sind bewusst nicht vorgesehen. Die Unterlassung vorgeschriebener Meldungen kann allerdings zu haftungsrechtlichen Konsequenzen führen, wenn z.B. dadurch weitere, vermeidbare Schadensereignisse eingetreten sind. 

[1] Zweite Verordnung zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften
Vom 27. September 2016,
Bundesgesetzblatt, Jahrgang 2016, Teil I, Nr. 47, ausgegeben zu Bonn am 11. Oktober 2016, S. 2203 bis 2209

[2] Änderung der Medizinprodukte-Betreiberverordnung zum 1. Januar 2017
Zweite Verordnung zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften verabschiedet
von Rudi Wuttke, eingestellt am 14.10.2016 um 13:31 Uhr

[3] Verordnung des Bundesministeriums für Gesundheit
Zweite Verordnung zur Änderung medizinprodukterechtlicher Vorschriften
Bundesrat, Drucksache 397/16, 04.08.16
(insbesondere Begründung, B. Besonderer Teil, S. 29ff.

[4] Formblatt des BfArM für die Meldung von Vorkommnissen durch Betreiber und Anwender sowie Hinweise des BfArM dazu

[5] Meldepflichten der Betreiber und Anwender von Medizinprodukten nach MPG und MPSV
Herausgeber: Branchenverbände der Medizinprodukteindustrie, März 2012,
als Anhang zu:
Sichere Medizinprodukte besser überwachen: Stellungnahme der Branchenverbände zur Sicherheit der in Deutschland verwendeten Medizinprodukte

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