Vorösterliche Überraschungseier im Terminservicegesetz
von Rudi Wuttke
Regelungen für Medizinprodukte, Hilfsmittel, Dialysefirmen & Apps
Das neue Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) soll eigentlich für schnellere Arzttermine und mehr Sprechstunden sorgen. Angehängte Themen aber wie die Nutzenbewertung von Medizinprodukten, die Ausschreibung von Hilfsmitteln, der Einfluss von Kapitalgesellschaften und neue Ansätze für digitale Lösungen sind auch für die Medizintechnikbranche sehr wichtig.
Am 14. März 2019 hat der Bundestag in letzter Lesung das Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) beschlossen. Der Bundesrat muss nicht mehr zustimmen. Das neue Gesetz wird voraussichtlich im Mai in Kraft treten und sieht mit Bezug zur Medizintechnik vor allem folgende Neuregelungen [1] vor:
- Das Gesetz ordnet die Nutzenbewertung von Medizinprodukten neu, indem es das Verfahren zur Erprobung neuer Untersuchungs- und Behandlungsmethoden beim Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) vereinfacht.
- Ausschreibungen für Hilfsmittel wie Inkontinenzhilfen, welche bisher bei bestimmten Produktgruppen zulässig waren, werden komplett abgeschafft.
- Der Einfluss von reinen Kapitalinvestoren auf medizinische Versorgungszentren wird eingeschränkt.
- Die Digitalisierung des Gesundheitswesens soll mit einer ganzen Reihe von Maßnahmen u.a. auch für die Telemedizin und für Apps vorangetrieben werden.
Hersteller von Medizinprodukten können die wissenschaftliche Begleitung und Auswertung einer Erprobung in Zukunft selbst in Auftrag geben. Möchten sie dies nicht oder lassen sie die vom Gemeinsamen Bundesausschuss G-BA gesetzte Frist verstreichen, vergibt dieser den Auftrag wie bisher nach einem Ausschreibungsverfahren [1].
Hilfsmittel-Ausschreibungen im Patienteninteresse abgeschafft
Insbesondere Ausschreibungen für ungeeignete Produktgruppen von Hilfsmitteln, ungenügende Qualitätsvorgaben für Produkte und Dienstleistungen, mangelhafte Kontrollen der Anbieter und ihrer Leistungen sowie uneinsichtige Führungskräfte und medizinisch/technisch weitgehend unterqualifiziertes Personal führten bei einem beträchtlichen Teil der Krankenkassen zu teilweise katastrophalen Versorgungen mit Hilfsmitteln, welche allein bei Inkontinenzhilfen Hunderte von Patientenbeschwerden zur Folge hatten, ohne dass die Kassen es für nötig befunden hätten, dringend gebotene Gegenmaßnahmen zu ergreifen. Nachdem auch im letzten Jahr mit dem Heil- und Hilfsmittelversorgungsgesetz (HHVG) beschlossene Vorgaben nicht ausreichend gegriffen haben, hat sich die Politik nun gezwungen gesehen, die Ausschreibungen komplett abzuschaffen. Dadurch möchte man sicherstellen können, dass es in Zukunft bei der Versorgung mit Hilfsmitteln keine Abstriche mehr hinsichtlich der Qualität gibt.
Der Einfluss von reinen Kapitalinvestoren auf medizinische Versorgungszentren (MVZ) wird beschränkt. Erbringer nichtärztlicher Dialyseleistungen beispielsweise dürfen künftig nur noch fachbezogene MVZ gründen. Auch die Möglichkeit von Krankenhäusern, zahnmedizinische Versorgungszentren einzurichten, wird ebenfalls eingeschränkt [1].
Digitalisierung soll Alltag der Patienten erleichtern
Patientinnen und Patienten sollen in Zukunft einfacher und schneller mit hoher Sicherheit auf ihre Behandlungsdaten zugreifen können [1]:
- Die Krankenkassen müssen bis spätestens 2021 ihren Versicherten Patientenakten anbieten. Der Zugriff mit Smartphone oder Tablet auf medizinische Daten soll auch ohne den Einsatz der elektronischen Gesundheitskarte – die eigentlich schon seit mehr als zwölf Jahren verfügbar sein sollte – möglich sein.
- Apps sollen vor allem chronisch Kranken helfen, ihren Patientenalltag zu organisieren. Deshalb dürfen Krankenkassen in Zukunft in den strukturierten Behandlungsprogrammen für chronisch Kranke (DMP) digitale Anwendungen nutzen.
- Um Entscheidungsprozesse in der Gesellschaft für Telematik (Gematik) effektiver zu gestalten, übernimmt das Bundesministerium für Gesundheit 51 Prozent ihrer Geschäftsanteile.
Regelungen für Medizinprodukte in vielen Vorschriften
Immer wieder verstecken sich Neuregelungen zur Medizintechnik allgemein und speziell auch zum Medizinprodukterecht in Gesetzen und Verordnungen, bei denen man dies erst einmal nicht erwartet. Ein Vorhaben mit dem aus Techniksicht eigentlich doch eher unverfänglichen Titel „Entwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung“ [2] beispielsweise wurde in der letzten Woche im Bundesrat behandelt und enthält Medizinprodukte betreffende Änderungen in seinen Artikeln 11 (Medizinproduktegesetz) und 16 (Heilmittelwerbegesetz). Danach soll in § 21 MPG (Besondere Voraussetzungen zur klinischen Prüfung) ein neuer Absatz 5 zur Anpassung der Regelungen für die Einwilligung an die fortschreitende Digitalisierung angefügt werden.
Ferner soll in § 12 HWG folgerichtig das Werbeverbot von IVD für die Eigenanwendung zum Nachweis von HIV-Infektionen (HIV-Selbsttests) aufgehoben werden, nachdem bereits im letzten Jahr eine Änderung der Medizinprodukte-Abgabeverordnung (§ 3 Abs. 4 und Anlage 3) die Voraussetzungen dafür geschaffen hat (Einzelheiten dazu siehe [3]).
„In einem lebenswichtigen Bereich wie der Gesundheitsversorgung muss der Staat funktionieren. Da besser zu werden, ist das Ziel unseres Gesetzes.“
Bundesgesundheitsminister Jens Spahn zum TSVG
[1] Schnellere Termine, mehr Sprechstunden, bessere Angebote für gesetzlich Versicherte
https://www.bundesgesundheitsministerium.de/terminservice-und-versorgungsgesetz.html
[2] Entwurf eines Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung
Gesetzentwurf der Bundesregierung, Bundesrat, Drucksache 53/19, 01.02.19
https://www.bundesrat.de/SharedDocs/drucksachen/2019/0001-0100/53-19.pdf?__blob=publicationFile&v=1
[3] HIV-Selbsttests erlaubt: Medizinprodukte-Abgabeverordnung (MPAV) ergänzt
in: Medizinproduktegesetz - MPG, ecomed, Vorwort zur 25. Ergänzungslieferung
https://mediendb.ecomed-storck.de/ecomedMedizin/texte/leseprobe/9783609641355_leseprobe_04.pdf
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