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INGOs NÖHRgeleien Juni 2025

von Ingo Nöhr

Ein Blick hinter die Bühne

Ingo Nöhr zum 1. Juni 2025

Dem entfesselten Weltgeschehen können nicht nur die beiden Gesundheitsveteranen Ingo und Jupp kaum noch folgen. „Hat das neue Zeitalter der Despoten gerade begonnen?“ fragt sich die ratlose Menschheit. Netanyahu träumt von Groß-Israel, Putin vom alten Zarenreich, Erdogan vom Osmanen-Reich und Trump von Groß-Amerika, Grönland inklusive. Nur wir Deutschen haben wohl noch die Nase voll vom Tausendjährigen Reich, von den Reichsbürgern und Neonazis mal abgesehen. Nein, halt: Auch die Mehrheit der betroffenen Israelis, Amerikaner, Russen und Türken verfolgen mit Unverständnis oder Grausen dem Gebaren ihrer Regierungen. 

Trotz der drohenden Klimakatastrophe mit den damit verbundenen Völkerwanderungen verrennen sich die Weltpolitiker in eine nie dagewesene Rüstungsspirale. Die steigert zwar das Bruttoinlandsprodukt, aber eigentlich wäre es humaner, das investierte Papiergeld gleich zu verbrennen, statt es in die Produktion von immer teureren Waffen für die Zerstörung von Menschenleben und Kulturgütern zu stecken.

Der mörderische Irrsinn in der Weltpolitik ist noch zu steigern. Mitte Februar schlägt eine russische Drohne in den Sarkophag von Tschernobyl ein, der rund 200 Tonnen hoch radioaktives Material einschließt. Sie reißt ein 15 qm großes Loch in die Stahlhülle und entzündet einen kaum löschbaren Schwelbrand in der flächendeckenden Sicherheitsmembran. Die zwei Milliarden Euro teure Schutzhülle wird ihre geplante Lebensdauer von 100 Jahren nicht mehr erreichen, sondern droht irgendwann in den nächsten Jahren zusammenzubrechen, da auch tragende Teile beschädigt wurden.

Zusammen mit den meisten Menschen verfolgen die beiden Freunde fassungslos die selbstmörderische Entwicklung. Was sind bloß die treibenden Kräfte dahinter? Dies versuchen sie bei ihrem aktuellen Stammtischgespräch herauszufinden.

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Guten Morgen Ingo, hast du die letzten Nachrichten schon gehört? Ich glaube, wir stehen laut Internationalem Gerichtshof vor einem Völkermord vor unserer Haustür, gedeckt von unserer deutschen Staatsraison. Netanyahu hat längst alle völkerrechtlichen Fesseln abgeworfen und weitere 22 jüdische Siedlungen im Westjordanland freigegeben. Verteidigungsminister Katz begründet den Hintergrund des Beschlusses unmissverständlich: „Er verankert unser historisches Recht auf das Land Israel und stellt eine vernichtende Antwort auf den palästinensischen Terrorismus da. … Ein strategischer Schritt, der die Gründung eines palästinensischen Staates verhindert, der Israel gefährden würde.“ Da liegt es nahe, den Gazastreifen durch totale Besetzung und Zerstörung für Palästinenser unbewohnbar zu machen. Sie haben wohl kein Lebensrecht mehr auf dem Boden Israels. Künftig werden wohl israelische Siedler die „Trumpsche Riviera“ genießen wollen.

  • Hallo Jupp, ja, ich höre davon, obwohl ich mir vorgenommen hatte, keine Nachrichten mehr anzuschauen. Momentan konzentriere ich mich auf die spannenden Vorgänge in den USA. Dort kämpft Donald Trump gegen die US-Justiz, die ihm bereits eine Verlustquote von 96% seiner 150 Dekrete beschert hat. Die Wall-Street Analysten haben sich mittlerweile auf die globale Zollpolitik Trumps eingestellt. Der TACO-Handel („Trump Always Chickens Out – Trump macht immer einen Rückzieher“) bereichert nun die Anleger (und nebenbei auch den Trump-Clan) durch die mittlerweile 50-malige Verschiebung der Zollregeln: Sie kaufen abstürzende Aktien unmittelbar nach der ersten Zollankündigung auf und verkaufen sie dann mit hohen Gewinnen, wenn Trump seine Meinung geändert hat und sich die Aktien erholt haben. Gestört wurde das lukrative Business, als ein Bundesrichter alle Strafzölle Trumps für rechtswidrig erklärt und gestoppt hat. Allerdings nur für 24 Stunden, dann wurde das Urteil durch die nächsthöhere Instanz wieder aufgehoben. Ich frage mich, wo bleibt der millionenfache Aufstand der Nicht-Trump-Wähler, die Massendemonstrationen vor dem Kapitol?

In autokratisch regierten Ländern ist der Kampf gegen die unabhängige Justiz doch schon lange Tradition. Ich erinnere an Polen, Italien, Brasilien und 2016 in der Türkei, als Erdogan kurzerhand mehr als 4000 Richter feuerte. Als Netanyahu im Jahre 2023 durch eine radikale Justizreform alle unliebsamen Richter ausschalten wollte, gingen Hunderttausende Israelis aus Protest auf die Straßen. Hast du denn eine Erklärung, warum der Proteststurm in den USA noch ausbleibt? Formiert sich unter der Oberfläche schon der Kruse-Tsunami? 

  • Möglicherweise. Eine Erklärung fand ich im Buch „Kampf ums Unbewusste“ vom Psychoanalytiker Tilo Held und der Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun. Sie argumentieren, dass Donald Trump auf das Unbewusste seiner MAGA-Anhänger zielt, indem er ihre Gefühle durch einfache eindimensionale Botschaften manipuliert und sie täglich durch die permanente Wiederholung in allen Medien festigt.

Ah, ich verstehe. Schon die Nazis haben ja das kollektive Bewusstsein der Deutschen durch den propagandistischen Einsatz von Radio und Film genutzt. Ebenso steht Putin die gesamte gleichgeschaltete Medienlandschaft Russlands zur Verfügung. So entsteht durch die ständigen Feedbackschleifen, quasi freiwillig, eine nationale Blase, denn eine komplexe Welt wird durch simple Botschaften bequemer fassbar. In früheren Zeiten, als noch vor der Aufklärung der Glaube angesiedelt war, hatte die Kirche diese Funktion inne.

  • Trump hat instinktiv erkannt, dass eine freie Presse, eine unabhängige Justiz und kritische Künstler und unkontrollierte Hochschulen seine unbewussten Botschaften abschwächen können. Ich zitiere mal Christina von Braun: „Steve Bannon hat ihm beigebracht, welches Potenzial in männlichem Unmut steckt. Er verstärkt den Unmut, indem er gegen die Gendertheorien und Diversityprogramme an den Universitäten vorgeht. Die Zurückdrängung von Frauen soll dafür sorgen, dass gekränkte Männer wieder das Haupt erheben können. Ähnliches versprach schon Mussolini. Viele Menschen haben Trump gewählt, viele unterstützen ihn weiterhin, obwohl sein Programm ihnen eher schadet. Sie handeln nicht rational. Allein das zeigt, dass das Unbewusste zum Schlachtfeld der Politik geworden ist.“

Deswegen also zieht Trump gegen die gesamte Hochschullandschaft in den Krieg. Diversity ist demnach eine Freiheitsstrategie. Populisten und Rechtsextreme neigen ja schon immer dazu, die Welt in einfache Gegensätze und klare Feindbilder zu unterteilen: Gut gegen Böse, Wir gegen Sie, Volk gegen Elite.

  • Trump sieht sich mit seinen emotionalen Predigten als die „Stimme des wahren Volkes“ gegen eine korrupte Elite, dem „Deep State“ in Washington. Die USA sind für ihn das von Gott auserwählte Volk. Obama und Biden haben Amerika angeblich zugrunde gerichtet. Er ist nun der heroische Kämpfer für die Wiederherstellung der glorreichen Vergangenheit. Seit dem missglückten Attentat versteht er sich zudem als Märtyrer und von Gott gesandt. Und seine Fans vergöttern ihn dafür.

Ingo, da muss ich gleich meinen Lieblingswitz loswerden. George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump sind gestorben und stehen vor Gott. Gott fragt Bush: "Woran glaubst du?" Bush: "Ich glaube an den freien Handel, ein starkes Amerika, die Nation." Gott ist beeindruckt: "Komm zu meiner Rechten." Gott wendet sich an Obama: "An was glaubst du?" Obama: "Ich glaube an die Demokratie, an die Hilfe für die Armen, an den Weltfrieden." Gott ist sehr beeindruckt und sagt: "Setz dich zu meiner Linken." Dann fragt er Trump: "Was glaubst du?" Trump: "Ich glaube, du sitzt auf meinem Stuhl."

  • „Dumm gelaufen“, dass nun ausgerechnet ein Anti-Trump Priester als erster Amerikaner zum neuen Papst gewählt wurde. „Wir sind Papst“ funktioniert jetzt leider nicht. Da hätte Donald besser vorab mit seinen Proudboys in den Vatikan einmarschieren und sich die Tiara selbst aufsetzen sollen. Na ja, immerhin ist wenigstens der Bruder von Papst Leo XIV ein bekennender Trump-Fan und wurde deswegen im Weißen Haus freudig empfangen.
    Aber Jupp, lass uns nochmal auf das Charakterbild von Trump zurückkommen. Stephen Greenblatt hat ja bereits 2018 in seinem Buch „Der Tyrann“ die autokratischen Herrscher von Shakespeare wie Richard III, Macbeth, König Lear und Julius Cäsar perfekt porträtiert und die Parallelen zu Donald Trump hinsichtlich Machthunger, Narzissmus, Paranoia und Gewissenlosigkeit herausgearbeitet.

Das heißt, Ingo, dass Shakespeare schon um 1600 die universellen und zeitlosen Machtmechanismen von Diktatoren durchschaut hat, so nach dem Motto: „Kennst du einen Tyrannen, kennst du sie alle“?

  • Ja, die dazu erforderlichen Komponenten sind auch heute hochaktuell: Egozentrik, übersteigertes Selbstbild, Feindseligkeit gegen Demokratie, Polarisierung durch Feindbilder, Desinformation, Verachtung gegenüber Wissen und Wahrheit, Erzeugung von Angst.

Aber das lässt mich ja hoffen, Ingo. Denn soweit ich mich erinnere, endeten die Shakespeare-Tyrannen letztendlich isoliert in Selbstzerstörung. Eine Macht nur auf Lügen und Gewalt aufgebaut ist demnach instabil. Das erinnert mich an ein Zitat von Abraham Lincoln: „Man kann das ganze Volk eine Zeit lang täuschen und man kann einen Teil des Volkes die ganze Zeit täuschen, aber man kann nicht das ganze Volk die ganze Zeit täuschen.“    

  • Wie konnte Donald Trump überhaupt zu diesem Soziopathen werden? Mary L. Trump, die Nichte von Donald und ausgebildete Psychologin hat zwei Bücher darüber geschrieben: 2020 mit dem Titel „Zu viel und nie genug“ und 2021 den Bestseller „Amerikas Alptraum: Das Vermächtnis von Donald Trump und die Gefahr für die Demokratie“; also noch vor der jetzigen Amtszeit.

Ich erinnere mich dunkel: Donald Trump reagierte auf die beiden Bücher mit allen juristischen Mitteln und persönlichen Angriffen. Er versuchte, ihre Glaubwürdigkeit massiv zu untergraben und ihr Schweigen rechtlich zu erzwingen – bislang erfolglos. Bereits am ersten Verkaufstag wurden fast 1 Million Exemplare verkauft.

  • Das ist nachvollziehbar, denn schließlich wurden eine Menge Internas aus dem Trump-Clan berichtet. Donald Trump wuchs in einer wohlhabenden, aber emotional distanzierten Familie auf. Sein Vater, Fred Trump, war ein harter, autoritärer Unternehmer, der Schwäche oder Mitgefühl als Zeichen von Versagen betrachtete. Gefühle, insbesondere Angst oder Empathie, hatten in diesem Umfeld keinen Platz. Donald lernte früh, dass er „gewinnen“ und dominant sein musste, um die Anerkennung seines Vaters zu bekommen. Fred Trump bestärkte Donalds narzisstische Züge: Er lobte ihn übertrieben, ignorierte Fehlverhalten und behandelte ihn wie einen „Kronprinzen“. Donald entwickelte eine Persönlichkeit, die auf äußerem Erfolg, Dominanz und dem Leugnen von Fehlern basierte. Mary L. Trump bezeichnet dies als eine Art psychologischen Schutzmechanismus in einer dysfunktionalen Familie. Mary L. Trumps Vater, Fred Trump Jr., war ursprünglich als Nachfolger des Vaters im Familienunternehmen vorgesehen, war aber sensibler und weigerte sich, den geforderten, rücksichtslosen Geschäftsstil zu übernehmen. Er wurde vom Vater abgewertet und letztlich verdrängt. Donald lernte daraus, dass es gefährlich war, Schwäche zu zeigen – und entwickelte eine Fassade aus Arroganz, Selbstüberhöhung und Rücksichtslosigkeit.

Ingo, ich entnehme diesen Informationen, dass Donald Trumps Verhalten – privat wie politisch – nicht isoliert zu betrachten ist, sondern tief in einer kalten, leistungsorientierten und traumatisierenden Familienstruktur wurzelt. Seine Unsicherheit, sein Narzissmus und seine autoritären Tendenzen sind also keine zufälligen Charakterzüge, sondern das Ergebnis systematischer emotionaler Vernachlässigung und toxischer Erziehung.

  • Da liegst du wohl richtig, Jupp. Mary Trump deutet daher einige Ereignisse aus psychologischer Sicht. Die Behauptung, sein Sieg sei ihm bei der Wahl 2020 gestohlen worden, ist ein Paradebeispiel für die Projektion: Um sein inneres Gleichgewicht und sein Selbstbild als Unbesiegbarer zu retten, musste die Ausrede des Wahlbetruges her. Der Sturm auf das Kapitol zeigt seine Machtbesessenheit. Die grausame Trennung von tausenden Kindern von ihren Eltern 2018 offenbart Trumps Mangel an Mitgefühl und seine Bereitschaft, Menschenleben zu instrumentalisieren. Und die Verharmlosung des Covid-19 Virus genauso wie die Leugnung des Klimawandels sind Ausdruck emotionaler Abwehr, da er mit einer Bedrohung konfrontiert wurde, die er nicht kontrollieren konnte.

Was schlägt die Psychologin denn für eine Therapie vor? Sollte man sich dem gegenwärtigen US-Präsidenten grundsätzlich nur mit einem Psychiater in Begleitung nähern?

  • Das ist eine gute Frage, Jupp. Ich glaube, dass Donald Trump selbst nicht mehr therapierbar ist. Mary Trump sieht vielmehr die Ursache der gesellschaftlichen Krise darin, dass die USA ihre gewaltsame Vergangenheit der Sklaverei, des Rassismus und der Gewaltbereitschaft nie aufgearbeitet haben. Für einen kollektiven Heilungsprozess der gespaltenen Gesellschaft ist eine ehrliche Auseinandersetzung mit der Geschichte notwendig, ähnlich den nationalen Wahrheitskommissionen in Südafrika.

Darauf müssen wir wohl noch lange warten. Eigentlich sollten wir auch den großen Zampano Elon Musk psychologisch analysieren, der es mit seiner Kettensäge geschafft hat, in nur 129 Tagen im Weißen Haus die enormen Ausgaben der US-Regierung drastisch zu kürzen – von anfänglichen 2 Billionen Dollar, dann zuletzt nur noch 150 Milliarden Dollar, die gerade mal die zusätzlichen Kosten decken. Er hinterlässt ein kaum bezifferbares Chaos in der Administration und in seinem Tesla-Unternehmen, von weltweiten Reputationsverlusten mal abgesehen.  

  • Natürlich ist er ein dankbares Objekt für eine Betrachtung, aber ich möchte mich jetzt wieder einem positiven, nicht zollgeplagten Handel zuwenden. Gut, dass unser Wirt noch weiterhin psychisch stabil ist und uns wie immer selbstaufopfernd mit Bier versorgt.

Das ist eine gute Idee, Ingo. Also lass uns einen Prost ausstoßen auf das absurde Theaterstück, „die Welt“ genannt.

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„Selbst die absolutesten Monarchen mussten die Stimmung ihrer Untertanen kennen lernen, Überlieferungen beachten und Vorurteile respektieren." - Woodrow Wilson

„Die Diktatur bringt den Maulkorb und dieser die Stumpfheit. Wissenschaft kann nur gedeihen in einer Atmosphäre des freien Wortes.“ – Albert Einstein

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